Der kalte Blick auf Israel
Warum es so schwer ist, in Deutschland für Israel einzustehen – und dabei unverdrossen hoffnungsvoll zu bleiben
Der Artikel erschien zuerst in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und Jüdisches Leben vom 10. Mai 2012 unter dem Titel „Nicht gesellschaftsfähig?“.
Ich verspreche, dass ich in dem Moment aufhören werde, so vehement für Israel zu streiten, in dem die Mehrheit empathisch gegenüber dem jüdischen Staat ist. Derzeit aber ist die antiisraelische Palästina-Solidaritätsfront in Deutschland nicht unterversorgt. Selbst der Iran kann sich darauf verlassen, dass es genügend einfühlsame Fürsprecher in Deutschland gibt, die ihm entspannt die Atombombe gönnen.
Professoren wie Altvater, Dürr, Fetscher, Narr und Negt haben vor einiger Zeit einen Aufruf unterzeichnet, sofort die Sanktionen gegen den Iran zu beenden. Seit’ an Seit’ streiten sie damit mit der Fleischer-Innung Nürnberg und deren Obermeister Manfred Seitz, der alarmiert auf die Verteuerung seiner Nürnberger Bratwürstchen verweist. Durch die Sanktionen nämlich hat sich der Preis für Schafsaitlinge verdoppelt! Professoren und Fleischer gemeinsam gegen den Wirtschaftsboykott und damit gegen das letzte Mittel, um die Bombe ohne Militäraktionen zu verhindern. Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass man Israel allein und die Juden ihrem Schicksal überlässt. Wieder einmal.
„Warum die schwarze Antwort des Hasses auf dein Dasein, Israel?“, fragte die Dichterin Nelly Sachs verzweifelt. Ich gestehe: Mich macht die Schwärze des Hasses oft sprachlos. Wie soll ich reden von meiner tiefen Sorge um die Zukunft dieses kleinen Landes und seiner Bevölkerung angesichts der Existenzbedrohung durch feindliche Nachbarn, religiöse Fanatiker, eifernde Politiker und Kriegsdrohungen aus dem Iran?
Wie kann ich vermitteln, dass die von allen so selbstverständlich geforderte Zwei-Staaten-Lösung voraussetzt, dass beide Völker die Existenz des anderen nicht als temporäre Zwischenlösung bis zur Erreichung des eigentlichen Ziels, der Auslöschung des anderen, ansehen?
Und wie kann ich verständlich machen, dass es sich nicht einfach als politische Ausflucht abtun lässt, wenn ein Volk, das schon einmal knapp der Vernichtung entronnen ist, die Morddrohung in der Charta der Hamas ernst nimmt und „Auslöschung Israels“ nicht bereitwillig mit „friedliche Nachbarschaft“ übersetzt?
Dabei hilft das populäre Klischee von den palästinensischen Opfern und den israelischen Tätern nicht einmal dem vermeintlichen palästinensischen Mündel, das mit rassistischer Überheblichkeit in seiner Opferrolle gehalten und eben nicht ernst genommen wird.
Echte Anteilnahme verlangt Hinsehen und das Aushalten unbequemer Wahrheit. Das Herz mag heftig für die eine oder die andere Seite schlagen. Die nicht nur journalistische Herausforderung aber besteht eben darin, nicht einfach alte Bilder zu wiederholen, sondern neue zu finden, nachzufragen, auf Antworten zu bestehen und diese auch dann zu verbreiten, wenn sie die politische Ruhe stören.
Ich will nicht verhehlen, dass mich immer wieder vieles an der Politik Israels irritiert. Darunter auch der unsinnige und politisch dumme Ausbau der Siedlungen im Westjordanland. Der Triumph des Irrationalen ängstigt mich. Gleichzeitig verstört mich die Wonne, mit der die Medien Israel vorführen, und die Gefühlskälte, mit der zurzeit wieder darüber diskutiert wird, wie die Chancen dafür stehen, dass der Iran eine Atombombe gegen Israel auch wirklich einsetzen könnte. Dass er sie bekommen wird, ist dabei schon ausgemachte Sache. Diskutiert wird lediglich die Bedrohung für den Weltfrieden, also für uns hier. „Israel droht mit Selbstverteidigung“, titelte der Focus vor einiger Zeit. Deutlicher, entlarvender kann man es nicht sagen.
„Warum die schwarze Antwort des Hasses auf dein Dasein, Israel?“ Juden haben bittere Erfahrung mit dem tödlichen Hass der Antisemiten gemacht. Sie wissen, dass es keine Grundlage gibt, Drohungen nicht ernst zu nehmen, egal, ob sie aus Berlin kamen oder heute aus Gaza oder Teheran kommen. Sie haben gelernt, wie gefährlich „Freunde“ sind und wie wenig Verlass im Ernstfall auf die Hilfe von außen ist und wie wichtig es ist, eine eigene Armee zu haben, sich wehren zu können.
Israel lebt seit seiner Gründung im permanenten Ausnahmezustand. Es ist der einzige jüdische Staat der Welt. Und er hat mehr als einmal erfahren, wie wahr die jüdische Lebensweisheit ist: „Gott schütze mich vor meinen Freunden. Vor meinen Feinden schütze ich mich selbst.“
Ich weiß: Langfristig sichern nicht Waffen das Überleben, sondern nur der Frieden. Und auch, wenn im Moment wenig dafür spricht, ich bin unverdrossen hoffnungsvoll. Aus dem Arabischen Frühling wird leider gerade ein arabischer Herbst. Lang- und vielleicht sogar schon mittelfristig aber wird es Sommer werden, die Jungen auf arabischer und israelischer Seite werden den Hass der Alten überwinden. Vorausgesetzt, es bleibt genug Zeit dafür. Vorausgesetzt, der Iran erhält keine Atombombe. Vorausgesetzt, Israel bleibt nicht allein.
Esther Schapira, Journalistin und Filmemacherin, ist Ressortleiterin der Abteilung Zeitgeschichte beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt am Main.